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Freundeskreises Chemie-Museum Erkner e. V. Freundeskreises Chemie-Museum Erkner e. V. Freundeskreises Chemie-Museum Erkner e. V.

Chemie-Geschichte

Bakelit
Phenoplast für die legendäre Rennpappe

MOZ-Serie zur Geschichte des ersten industriell gefertigten Kunststoffs in Erkner / Teil VI

Die Stadt Erkner ist die Wiege des ersten indus­triell gefertigten Kunst­stoffs, der dort erstmals 1909 hergestellt wurde. Aus diesem Anlass wird Ende November in Erkner die­ses 100. Geburtstages gedacht, zum Bei­spiel mit einer Ausstel­lung und Vorträgen. Mitglieder des Freundeskreises Chemie-Museum Erkner bringen den MOZ-Lesern die spannende Ent­wick­lungsgeschichte des Kunststoffs näher. Heute Teil VI:

Zwei Erkneraner Abiturienten un­terhalten sich über Vergangenes. Fragt der eine:“ Früher jagte auf den Straßen ein Phenoplast-Etwas umher, weißt Du, was ich meine?“ Der andere nach längerem Über­legen: „Nein, ich weiß wirklich nicht, was Du meinst.“ „Na das war die berühmte Renn­pappe, der Trabi.“
Und das kam so: Die Bürger der DDR hatten in den 1950er Jahren zu­nehmend den Wunsch nach einem eigenen erschwing­lichen Pkw. Also beschloss der Ministerrat im Januar 1954, dass zum 40. Jah­restag der Oktober-Revolution am 7. November 1957 im Automobil­werk Zwickau „entsprechend dem Bedarf der Bevölkerung und des Exports ...“ ein Kleinwa­gen entwickelt werden soll – mit zwei Haupt- und zwei Ne­ben­sitzen, einem 500-ccm-Zweitakt­motor, maximal 660 kg schwer, mit weniger als 5,5 1 Kraftstoff-Verbrauch und einem Preis von unter 4000 Mark. Aus Gründen des geringen Gewichts und der knappen Verfügbarkeit von Stahl sollte das Fahrzeug eine Kunst­stoff-Karos­serie erhalten:
In Zwickau lagen Erfahrun­gen bei der Auto-Union über den Einsatz von Kunststoff im Auto­mobilbau vor. Seit 1951 arbei­tete man auch in Zwickau beim Einsatz spezieller Kunststoffe an den für diese neuen Materialien nötigen Verarbeitungsverfahren.
Natürlich legten die Designer be­sonderes Gewicht auf werkstoff­ge­rechte Gestaltung. Nach umfangreichen Unter­suchungen mit Kunst­stoff ent­schieden sich die Zwickauer In­genieure bei der Entwicklung des Kleinwagens für ein Phenolharz aus dem Phenoplastwerk Plasta Erkner.
Nach vielen Tests wurde ein ei­genhärtendes Phenol-Resol und Ende der 1970er Jahre das Plas­toresin 223/3 eingesetzt, das in Erkner speziell für diesen An­wendungszweck entwickelt wurde. In einer extra dafür er­richteten, weltweit einmaligen Anlage wurden jährlich 5000 Tonnen Phenolresol produziert.
Auf einer für den Trabant in Zwickau aufgebauten Produkti­onsstraße wurden zehn „gekrem­pelte“ watteartige Baumwoll­fliese – Abfälle der heimischen Textilindustrie, aber hochwertige Baumwolle für die Deck­schicht – jeweils schichtweise mit dem Phenolharz-Pulver bestreut, ver­dichtet und grob zugeschnitten.
Dieses Vormaterial wurde in beheizten hydraulischen Pres­sen unter Druck zu stabilen Du­roplast-Formteilen ausgehärtet, für die Montage auf dem freitra­genden Stahlblech-Gerippe zu­gepasst und mit einem speziellen elastischen Kautschukkleber auf­geklebt. So wurden im einzelnen zehn Duroplast-Formteile der Ka­rosserie zusammengefügt.
Pünktlich zum 7. November 1957 wurde das erste Fahrzeug der stau­nenden Öffentlichkeit vorgestellt. 1958 lief die Produk­tion des ersten Trabant-Modells P 50 mit der faserverstärkten Du­roplast-Karosserie in Zwickau vom Band. Über Jahrzehnte wurde die Karosserie nahezu un­verändert produziert, auch wenn ansonsten im Laufe der Jahre viele technische Veränderungen vorgenommen wurden.
Es folgten die Modelle P 60, P 601 sowie der Trabant 1.1 mit einem 1,1-l-VW-Motor. Mehrere von den Autobauern entwickelte moderne Prototypen blieben „Stu­dien“, da die erforderlichen In­vestitionen von offizieller Seite verwehrt wurden.
Ab 1990 wandten sich die DDR-Bürger vom Trabant ab. Über drei Millionen Exemplare waren bis zum 10. April 1991 gefertigt worden. Inzwischen ist der Trabant ein begehrtes Kult­objekt. Zur Zeit sind noch mehr als 50 000 „Rennpappen“ in Deutschland zugelassen.

Prof. Dr. Gerhard Koßmehl
FCME, Berlin


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Erkner - Wiege des Kunststoff-Zeitalters
Erkner - hier begann
vor 100 Jahren das Kunststoff-Zeitalter

Faksimile des Artikels in der MOZ
Faksimile dieses Artikels in der MOZ


 

Trabi - die legendäre Rennpappe mit Kunststoff-Karosse
Trabi - die legendäre "Rennpappe" mit Kunst­stoff-Karosse


 

Erkners Chemie-Werke um 1990: vorne Teer­werk (ehem. Rütgers), hinten Plasta (ehem. Bakelite)
Erkners Chemie-Werke um 1990: vorne Teer­werk (ehem. Rütgers), hinten Plasta (ehem. Bakelite)


 
 

Veröffentlicht in der Märkischen Oderzeitung am 13.11.2009.

 
 

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Diese Seite wurde erstellt am 22.12.2009