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Baekeland-Tag 2012
Kurzfassungen der Vorträge
Leo H. Baekeland (1863-1944)
als Wissenschaftsunternehmer
Joris Mercelis
Universität Gent
Joris.Mercelis@UGent.be
Am Beispiel des belgisch-amerikanischen Chemikers Leo H. Baekeland (1863-1944), Erfinder des Bakelits, wird in diesem Vortrag das Verhältnis zwischen Wissenschaft, Technik und Industrie im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert aus einer transatlantischen Perspektive beleuchtet. Baekeland ist mehrfach als ein ‚reluctant innovator‘ (etwa:
widerwilliger Innovator) charakterisiert worden, der es bedauert hätte, keinen größeren Teil seiner Karriere der wissenschaftlichen Grundlagenforschung gewidmet zu haben.
Im Gegensatz dazu demonstriere ich zunächst, dass Baekeland, bereits bevor er den ‚Elfenbeinturm‘ der Universität verlassen hatte, sich vor allem zu technologischen Herausforderungen hingezogen fühlte. Seine Erfahrungen in der photochemischen Industrie verstärkten diese Orientierung, indem sie Baekeland davon überzeugten, dass der wirtschaftliche Nutzen theoretischer Erkenntnisse allzu oft überschätzt wurde.
Zweitens wird gezeigt, dass unternehmerisches ‚Schaffen‘ dem Baekeland lieber war als er selbst in öffentlichen Vorträgen angab. Zum Teil gab es dafür finanzielle Gründe. Baekeland wollte aber auch die Umwandlung seiner Erfindungen, mit denen seine eigene Reputation eng verknüpft war, in weit verbreitete Innovationen möglichst viel mitgestalten. Dabei bemühte Baekeland sich darum, seine Unternehmen von ‚bloß kommerziellen‘ Firmen zu unterscheiden. Er achtete etwa darauf, dass Naturwissenschaftler und Ingenieure nicht nur in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung, sondern auch im Betriebsvorstand und in der Verkaufsabteilung der amerikanischen Bakelite Corporation leitende Stellen einnahmen. Baekeland und seine Mitarbeiter präsentierten die Bakelite Corporation auch als ein ‚wissenschaftsbasiertes‘ Unternehmen, obwohl die wissenschaftlichen Erkenntnisse der molekularen Strukturen synthetischer Kunstharze wie ‚Bakelit‘ sehr beschränkt waren, und die Bakelite Corporation keine große Rolle in der ab den 1920er Jahren aufkommenden Polymerwissenschaft spielte.
Am Ende des Vortrags argumentiere ich, dass ein solcher ‚dekorativer‘ Gebrauch der Wissenschaft einen wichtigen und bisher unterbelichteten Aspekt der damaligen Beziehung zwischen Industrie und Naturwissenschaft ausmachte.
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Kurzfassung des Vortrags von :
Joris Mercelis
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Hans Lebach, Erkner
Auf den Spuren eines fast vergessenen Bakelite-Erfinders
Frank Retzlaff
Freundeskreis Chemie-Museum Erkner e.V.
Als Dr. Hans Lebach (1881-1961) 1910 vom Rhein nach Erkner übersiedelte, hatte er gerade einen heftigen Patentstreit mit Leo H. Baekeland hinter sich - nicht ohne Erfolg, wie seine Anstellung als Chemiker bei der gerade gegründeten Bakelite GmbH Berlin Erkner zeigt.
Er wurde als Heinrich Lebach 1881 in Elberfeld (Wuppertal) geboren und wuchs in einer bürgerlichen jüdischen Familie mit neun Brüdern auf. Er war der einzige von ihnen, der Naturwissenschaften studierte und nicht ins väterliche Textilunternehmen einstieg. 1899 schrieb er sich an der Universität Heidelberg für das Chemiestudium ein. 1904 promovierte er dort unter Prof. Knoevenagel (1865-1921) "Über einige Derivate von Säureamiden". Dieser Emil Knoevenagel forschte im engen Kontakt zur Industrie und führte Lebach wahrscheinlich bei der Firma Knoll & Co. im nur ca. 25 km entfernten Ludwigshafen ein, die ihren Schwerpunkt eigentlich in der Pharmazie hatte (u.a. Codein), aber die Forschung durchaus auch auf andere Bereiche ausdehnte und erfolgreich Patente verkaufte.
Am 22. Mai 1909 hielt Lebach vor der Chemischen Gesellschaft zu Heidelberg einen Vortrag "Über Resit", von dem wenige Tage später die Chemiker-Zeitung berichtete. Der Inhalt dieses Vortrags erinnert in wesentlichen Aspekten an Baekelands Artikelserie "Bakelit, ein neues synthetisches Harz", die seit dem 23. März von dieser Zeitung veröffentlicht wurde. Baekeland reagierte prompt - monatelange Auseinandersetzungen in Fachzeitschriften und Patentklagen gegen Lebach und Knoll & Co. folgten. Ein Jahr später war Lebach aber Mitarbeiter und Knoll & Co. Teilhaber der Bakelite GmbH. Lebach errichtete in den nächsten Jahren u.a. Bakelite-Tochterfirmen von Berlin bis Kanada.
In einer dieser Firmen - der Säureschutz GmbH in Berlin-Altglienicke - war Lebach bis Anfang 1938 Geschäftsführer, wurde wegen einer politischen Bemerkung ein halbes Jahr im KZ Dachau eingesperrt und musste seine Heimat verlassen. Mit Unterstützung der US-Bakelite flüchtete er nach Kanada und in die USA, wo er noch bis 1954 eine von ihm 1933 aufgebaute Tochterfirma leitete. Er sah Erkner und Deutschland nicht wieder und starb 1961 in den USA.
Der Autor wird neben dem Lebensweg Lebachs und wesentlichen Einflüssen insbesondere den Konflikt mit Baekeland und dessen Wirkungen darstellen.
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Frank Retzlaff
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Polymere Biomaterialien für Anwendungen
in der Medizin
Andreas Lendlein
Zentrum für Biomaterialentwicklung und Berlin-Brandenburger Centrum für Regenerative Therapien,
Institut für Polymerforschung,
Helmholtz-Zentrum Geesthacht,
Kantstr. 55, 14513 Teltow
email: andreas.lendlein@hzg.de
Polymer-basierte Biomaterialien werden in großem Umfang in der Medizin eingesetzt. Jedoch wurden die meisten Polymere, die gegenwärtig in klinischen Anwendungen etabliert sind, nicht gezielt für die Medizin entwickelt. Diese etablierten Biomaterialien können die komplexen Anforderungen der modernen Medizin (z. B. biomaterial-basierte Regenerative Therapien, biologisierte Implantate) nur unzureichend erfüllen. Daher besteht ein erheblicher Bedarf an neuen, multifunktionalen Biomaterialien, deren Eigenschaften und Funktionen gezielt im Hinblick auf die Erfordernisse der jeweiligen Anwendung maßgeschneidert sind [1-4].
Ein vielversprechender Ansatz für die Biomaterialentwicklung ist die Entwicklung von Polymersystemen. Das sind Familien von Polymeren, deren Eigenschaften durch nur kleine Änderungen in der chemischen Struktur in weiten Bereichen nahezu unabhängig voneinander eingestellt werden können. Als molekulare Architekturen eignen sind hierzu insbesondere Polymernetzwerke mit chemischen oder physikalischen Netzpunkten. Solche Materialien können zusätzlich durch Kombination mit geeigneten Prozessen funktionalisiert werden. Beispiele für solche Funktionalisierungen sind der Formgedächtniseffekt oder die kontrollierte Freisetzung von Wirkstoffen. Motiviert durch die Anforderungen von Anwendungen, müssen häufig mehrere verschiedene Funktionen in einem Materialsystem realisiert werden. Die Multifunktionalität kann dabei durch Kombination verschiedener funktionaler Materialien (Multimaterialsystem) oder durch Integration verschiedener Funktionen in einem Material erzielt werden.
Am Beispiel abbaubarer Formgedächtnispolymere [5,6] wird die Entwicklung multifunktionaler Biomaterialien erläutert und die Herausforderungen bei der Entwicklung Biomaterial-basierter Therapien dargestellt.
Referenzen
[1] A. Lendlein, A.T. Neffe, B.F. Pierce, J. Vienken, Int. J. Artif. Organs 34, 71-75 (2011)
[2] A. Lendlein, C. Wischke, Exp. Rev. Med. Dev. (2011), akzeptiert zur Veröffentlichung am 2. Juni 2011
[3] F. Jung, C. Wischke, A. Lendlein, MRS Bulletin 35, 607-613 (2010)
[4] V.P. Shastri, A. Lendlein, Adv. Mater. 21, 3231-3234 (2009)
[5] A. Lendlein, M. Behl, B. Hiebl, C. Wischke, Expert Rev Med Devic 7, 357-379 (2010)
[6] M. Behl, M.Y. Razzaq, A. Lendlein, Adv. Mater. 22, 3388–3410 (2010)
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Prof. Dr.
Andreas Lendlein
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