Logo ChemieFreunde Erkner e.V. Julius Rütgers und historische Teile seines Werks in Erkner Das berühmte Hitze-Druck-Patent Baekelands - die Geburtsurkunde des Kunststoff-Zeitalters - eine der Grundlagen moderner Technik Leo Hendrik Baekeland und sein Bakelizer
Freundeskreises Chemie-Museum Erkner e. V. Freundeskreises Chemie-Museum Erkner e. V. Freundeskreises Chemie-Museum Erkner e. V.

Chemie-Geschichte

Bakelit
Von Gaslaternen, Bahnschwellen und stinkendem Teer

MOZ-Serie zur Geschichte des ersten industriell gefertigten Kunststoffs in Erkner / Teil I

Die Stadt Erkner ist die Wiege des ersten indus­triell gefertigten Kunst­stoffs, der dort erstmals 1909 hergestellt wurde. Aus diesem Anlass wird Ende November in Erkner die­ses 100. Geburtstages gedacht, zum Bei­spiel mit einer Ausstel­lung und Vorträgen. Mitglieder des Freundeskreises Chemie-Museum Erkner bringen den MOZ-Lesern die spannende Ent­wick­lungsgeschichte des Kunststoffs näher. Heute Teil I:

Um 1890 begann die Suche nach einem geeigneten Ersatzstoff für das teuer zu importierende Natur­harz Schellack, das von der Elek­tro­industrie dringend als Isolati­onsmaterial benötigt wurde. Die Spu­rensuche nach dem Beginn der Lösung des Problems führt zunächst einige Jahrzehnte zu­rück. Am 19. September 1826 erleuchteten zum ersten Mal 26 mit Leuchtgas betriebene Gas­laternen die Magistrale Unter den Linden in Berlin. Das Gas wurde in einem von einer eng­lischen Gesellschaft errichteten Gaswerk am Hallischen Tor aus Stein­kohle erzeugt. Bei diesem „Vergasungsprozess“ fiel eine schwarze, zähe und übelrie­chende Masse an, der Steinkoh­lenteer. Seine In­halts­stoffe waren noch unbekannt, und es gab daher für den Teer keine nützliche Ver­wendung. Da niemand wusste, wohin damit, wur­de er zum Bei­spiel in Kuhlen „verkippt“.
„Wer Pech angreift, besudelt sich, wer aber Teer angreift ..., der tut es noch viel mehr, denn er kommt dadurch auch noch in einen höchst üblen Geruch!“ Diese Worte stammen von Fried­lieb Ferdinand Runge (1794­1864), einem erfindungsreichen deutschen Chemiker. Er arbei­tete seit 1832 in der Chemischen Produktenfabrik zu Oranienburg. Runge wollte dem nutzlosen Teer seine Geheimnisse entlocken und wurde 1834 dabei fündig. Er entdeckte das „Kyanol“ und die „Karbol­säure“, heute Anilin und Phenol genannt. Während das Erstere einige Jahrzehnte später die Grundlage für die Anilinfar­ben wurde, war das Phenol noch lange wirtschaftlich bedeutungs­los. Aber gerade in ihm lag der erste Schlüssel auf dem Weg zur „Kunststoffwiege“.
Ein weiteres wichtiges Ereig­nis auf diesem Weg war 1869 die Ent­deckung des Formalde­hyds in Berlin, durch einen der bedeutendsten deutschen Che­miker August Wilhelm v. Hof­mann (1818-1892). Ein nicht minder bedeutender deutscher Chemiker, Adolf v. Baeyer (1835-1915), Nobelpreisträger für Che­mie 1905, untersuchte 1871/72 in Berlin und dann in Straßburg die chemischen Reaktionen von Phe­nol mit Aldehyden, so auch mit Formaldehyd.
Im Sinne unserer „Kunststoff­wiege“ ein historisches Experi­ment. Die heftig verlaufende Re­aktion führte zu einer harzartigen, sich chemi­scher Analyse wider­setzenden Substanz, die Baeyer deshalb als „Schmiere“ bezeich­nete. Er konnte nicht ahnen, dass gerade diese Reaktion 35 Jahre später die patentierte Basis für den „Kunststoff der 1000 Möglichkei­ten“, das Bakelit, werden würde. Was das mit Erkner zu tun hat?
Jetzt kommen die Eisenbahn­schwellen zum Zuge. Schon 1860 gab es in Deutschland fast 12 000 Kilometer Eisenbahnstrecke. Der Bedarf an Holzschwellen – als Gleisbettung – war riesig. Gegen das Verrotten wurden die Schwel­len mit schwerem Teeröl impräg­niert, das aus Eng­land importiert werden musste, weil in Deutsch­land eine leistungs­fähi­ge Teerver­arbeitung fehlte.
Der deutsche Industrielle Ju­lius Rütgers (1830-1903) hatte schon 1849 mit dem Bau von Im­prägnierwerken für Eisenbahn­schwellen begonnen. Sein 17. er­richtete er 1859 in Erkner. Dieser Ort lag güns­tig an der Eisenbahn­strecke Berlin-Frankfurt/Oder und war auch auf dem Wasser­weg mit Berlin verbunden.
Das führte Rütgers zu der Idee, in Erkner eine eigene Teerver­arbei­tung aufzubauen und den Teer aus den Berliner Gaswerken zu Teer­ölen aufzuarbeiten. 1860 war diese Idee realisiert. Bei der Gewin­nung von Teerölen fiel nun auch Phenol als Nebenprodukt an, für das zu diesem Zeitpunkt noch immer keine befriedigende wirt­schaftliche Nutzung bestand. Aber es war der Grund, warum rund 50 Jahre später die Wiege des Kunststoffs in Erkner auf­gestellt wurde.

Dr. Rolf Ukrow
FCME, Berlin

Veröffentlicht in der Märkischen Oderzeitung am 07.10.2009.


Lesen Sie weiter:
Link
Übersicht der Artikelserie
Link
nächster Teil der Artikelserie
Link
Baekeland und
die Bakelite
Link
Erkner als Chemiestandort
   

Erkner - Wiege des Kunststoff-Zeitalters
Erkner - hier begann
vor 100 Jahren das Kunststoff-Zeitalter

Faksimile des Artikels in der MOZ
Faksimile dieses Artikels in der MOZ

Friedlieb Ferdinand Runge (1794-1864)
Friedlieb Ferdinand Runge (1794-1864)

Faksimile des Artikels in der MOZ
August Wilhelm v. Hofmann (1818-1892)

Adolf v. Baeyer (1835-1915)
Adolf v. Baeyer
(1835-1915)

Julius Rütgers (1830-1903)
Julius Rütgers
(1830-1903)

 

Sie sind herzlich eingeladen mitzuwirken. Haben Sie Ideen zur Erweiterung oder Änderung unserer Sammlungen oder Forschungen? Dann lassen Sie uns das wissen. Nutzen Sie z. B. unser Diskussions-Forum oder eine unserer Veranstaltungen. Oder schicken Sie uns einfach eine E-Mail.

 
   
zurückzurück   nach oben nach oben   
 
       
 

 
© ChemieFreunde Erkner e. V.
 
Diese Seite wurde erstellt am 22.12.2009