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Die Chemie in der Region Berlin und Brandenburg

Streiflichter aus der Geschichte der
Chemie in Berlin

Von Dr. Michael Engel, Berlin
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Mehr als 400 Jahre lang ist Berlin Schauplatz chemischer Forschung, Lehre und Produktion. In jeder Phase gab es hier markante Gelehrte, doch erst die Vielzahl der in zweiter und dritter Reihe stehenden Persönlichkeiten bereitete den Boden für diese kontinuierliche und außerordentlich fruchtbare Entwicklung, bei der Berlin zu einem dauerhaften Zentrum der Chemie wurde.

Leonhardt Thurneisser zum Thurn wirkte 1572-1584 als kurfürstlicher Leibarzt in Berlin, richtete in den Nebengebäuden des Franziskaner­klosters ein Laboratorium ein, in dem er, der zeitgemäßen Chemiatrie anhängend, eine erfolgreiche Arzneimittelproduktion einrichtete. Darüber hinaus förderte er zahlreiche Gewerbe wie die Glasherstel­lung und den Buchdruck. Er war zeitweilig der größte Arbeitgeber in der Stadt.

Chemiatriker waren auch die späteren Leibärzte am kurfürstlichen Hof. Nach dem Dreißigjährigen Krieg versuchte der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm das neue Naturverständnis und die erneuerte Naturforschung auch ökonomisch zu nutzen. Johann Kunckel von Löwenstern führte ab 1678 erfolgreich mehrere Glashütten und produzierte auch serienmäßig das begehrte und wertvolle Rubinglas. Sein wissenschaftliches Laboratorium auf der Pfaueninsel bestand zwar nur wenige Jahre, wies aber wichtige Charakteristika neuzeit­licher Experimentierkunst auf.

Alchemistische Experimente wie die des Apothekerlehrlings Johann Friedrich Böttger in der Zornschen Apotheke am Molkenmarkt um 1700, die Experimente Johann Conrad Dippels (1673-1734) und die betrügerische Goldmacherei eines Caetano, der 1709 in Küstrin am Galgen endete, waren zeittypisch.
Wirtschaftliche Bedeutung erlangte die zufällige Darstellung des Berliner Blau durch den Färber Diesbach, von der Leibniz 1710 berichtete.

Mit der 1796 von dem pietistischen Halleschen Medizinprofessor Georg Ernst Stahl, ab 1715 königlicher Leibarzt in Berlin, formulierten Phlogistontheorie gewann die Chemie in ungeahnter Weise an Objek­tivität und Exaktheit, auch wenn sich Jahrzehnte später gravierende Mängel der Theorie zeigten, die zu ihrer Aufgabe zwangen. Stahls kritischer und fortschrittlicher Geist sowie seine echte Frömmigkeit hatten auf König Friedrich Wilhelm I. erheblichen Einfluss. Berlin galt als ein Zentrum der Phlogistonchemie.

Mit dem 1724 gegründeten Collegium Medico-Chirurgicum wurde die Chemie auf bemerkenswerte Weise mit zwei Professuren und den eigens zu Lehr- und Forschungszwecken ausgebauten Laboratorien der Hofapotheke institutionalisiert. 1754 folgte das chemische Labo­ratorium der Akademie, mit den großen in Paris und London sehr wohl vergleichbar. Andreas Sigismund Marggraf entdeckte dort den Rübenzucker und Franz Carl Achard leistete Pionierarbeit in der Rübenproduktion und Zuckertechnologie.

Bei der Einführung der neuen, von Antoine Laurent de Lavoisier (1743-1794) und seinem Kreis entwickelten Theorie, nahm Berlin eine bevorzugte Position ein. Hier nämlich vollzog sich der Theorienwech­sel in der kurzen Zeitspanne von 1791-1793 ohne die sonst in Deutsch­land üblichen, rücksichtslos und verletzend ausgetragenen Polemiken. Sigismund Friedrich Hermbstaedt, Alexander von Humboldt und der welt­weit als Mineralchemiker geschätzte Martin Heinrich Klaproth (1803-1873) hatten entscheidenden Anteil daran. Die Sauerstofftheorie gab auch der weiteren Institutionalisierung der Chemie starke Impulse.


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Wappen von Berlin
Das Wappen von Berlin.
 

Sowohl an den zahlreichen Neugründungen technisch-medizinischer Ausbildungsstätten als auch an der 1810 gegründeten Universität wurde die Chemie ein unverzichtbares Lehrfach. Der Nützlichkeits­aspekt war dafür vorherrschend. Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass die neueren Tendenzen der Lehre, wie sie Justus von Liebig (1803-1873) um 1840 prägte, in Berlin nur zögerlich akzeptiert wurden. Über mehrere Jahrzehnte wurde zudem die Nachwuchs­ausbildung sichtbar vernachlässigt. Trotzdem wirkten mit Eilhard Mitscherlich und Heinrich Rose erstrangige Chemiker in der Stadt.

 
 

Nach 1865 begann eine neue Ära: Die organische Chemie dominierte auch in Berlin und diese Dominanz verstärkte Disziplinbildung und Spezialisierung. Zugleich ermöglichten die prosperierende Wirtschaft des Kaiserreichs und die gesellschaftliche Wertschätzung der Wissen­schaften auch erhebliche staatliche Investitionen. Es entstanden die beiden großen Chemischen Institute der Berliner Universität, das der Technischen Hochschule und das merklich kleinere, doch leistungsstarke der Landwirtschaftlichen Hochschule. Weit über Berlin hinaus wirkten auch die Vertreter der physiologischen Chemie an den Instituten für Physiologie und Pathologie. August Wilhelm von Hofmann leitete eine glanzvolle Epoche ein. Sein Institut bot dem Nachwuchs gute Möglichkeiten, freilich mussten sich die Privatdozenten meist selbst finanzieren. Wenn sie Assistentenstellen hatten, dann grenzte die erwartete Leistung an Ausbeutung. Auch an der Technischen Hochschule dominierte die organische Chemie, die mit dem jungen Adolf von Baeyer und dessen Nachfolger Carl Liebermann ebenfalls über hervorragende Chemiker verfügte.

Ihren Höhepunkt erreichte die Berliner Chemie mit Emil Fischer, der von 1892 bis zu seinem Tod der große Meister der biologischen organischen Chemie war und die Entwicklung Berlins zu einem einzigartigen Zentrum der Biochemie förderte. So bot Berlin die idealen Bedingungen, unter denen Eduard Buchner die Entdeckung der zellfreien Gärung weiter untermauern konnte. Wichtige Beiträge zur Biochemie kamen auch aus den Krankenhauslaboratorien, von z. B. Leonor Michaelis und Peter Rona im Krankenhaus Am Urban. Diese Entwicklung endete abrupt 1933 durch die Vertreibung jüdischer Wissenschaftler.

Über die Ausarbeitung von Messverfahren, zunächst in der Zucker­technologie, wurde die physikalische Chemie problemlos institutionalisiert.
Hans Landolt, Jacobus Henricus van't Hoff, Walther Nernst, Max Volmer und Max Bodenstein vertraten dieses Fach in hervorragender Weise. Als Folge dieser Entwicklung verlor die anorganische Chemie mit dem Ausscheiden Karl Friedrich Rammelsbergs und der Berufung Landolts seit 1890 ihre institutionelle Eigenständigkeit. Da diese auch an der Technischen Hochschule trotz beachtlicher Einzelleistungen - z. B. auf dem Gebiet der metallorganischen Verbindungen - kein klares Profil hatte, wurde sie vier Jahrzehnte durch Arthur Rosenheims (1865-1942) privates Wissenschaftlich-Chemisches Institut Berlin repräsentiert. Dessen Programm hat später für gut drei Jahrzehnte die Anorganik an der Freien Universität geprägt.

Weltweiten Ruhm erwarben sich 1912-1933 die chemischen Kaiser-Wilhelm-Institute in Dahlem, an denen u. a. die Nobelpreisträger Fritz Haber, Otto Hahn, Otto Meyerhof, Otto Warburg und Adolf Butenandt sowie Carl Neuberg und Alfred Stock wirkten.

Die Vertreibung jüdischer und politisch missliebiger Wissenschaftler 1933, die Kriegsvorbereitungen und auch einige seit Ende der zwanziger Jahre spürbare Veränderungen der Themenstellungen beendeten die aussichtsreichsten Forschungsprogramme und brachten nur wenige Spitzenleistungen. Das Tor zu einer neuen Welt eröffnete einzig die Entdeckung der Kernspaltung im Dezember 1938.

Hofmann-Haus in der Sigismundstraße 4 in Berlin-Tiergarten
Das Hofmann-Haus in der Sigismundstraße 4 in Berlin-Tiergarten. 1896-1945 Sitz der Geschäfts­führung des Vereins zur Wahrung der Interessen der chemischen Industrie Deutsch­lands e.V. (heute Verband der Chemischen Industrie e. V.)
Chemisches Institut der Berliner Universität
Das Chemische Institut der Berliner Universität in der Hessischen Straße
(Schaubild um 1900)
 

Die großartigen Leistungen der wissenschaftlichen Chemie lassen vergessen, dass sich Berlin seit etwa 1820 zu einem der großen Standorte der deutschen chemischen Industrie entwickelt hatte. Kunheim, Riedel, Schering, Kahlbaum, Agfa waren weltweit bekannte Marken. Einen weiten Bereich angewandter Wissenschaft deckten auch die chemischen Laboratorien in Reichs-, Staats- und Kommunal­behörden ab. Von den Laborleitern dieser Einrichtungen seien drei erwähnt: Walter Noddack (Physikalisch-Technische Reichsanstalt), der mit seiner Frau Ida Noddack-Tacke 1925 das chemische Element Rhenium entdeckte, Josef Houben (Biologische Reichsanstalt für Land- und Forstwirtschaft), der Herausgeber von Houben-Weyls Methoden der organischen Chemie und Georg Lockemann (Institut für Infektionskrankheiten - jetzt Robert-Koch-Institut), der sich als Chemiehistoriker einen Namen machte.

Der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg begann unter größten Schwierigkeiten. Viele jüngere Chemiker waren gefallen oder befanden sich in Kriegsgefangenschaft; von den Hochschullehrern waren nicht wenige politisch belastet und wurden aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Besonders haben sich Erich Thilo beim Wiederaufbau des Instituts in der Hessischen Straße und Jean D'Ans sowie später Iwan N. Stranski in der Technischen Universität verdient gemacht. An der 1948 gegründeten Freien Universität war die Chemie größtenteils in drangvoller Enge im ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie untergebracht. Erst 1963 konnte das Institut für Anorganische Chemie einen großen Neubau beziehen, für den sich Karl Friedrich Jahr (1904-1973) eingesetzt hatte.

Grüne Apotheke
1851 eröffnete Ernst Schering im Norden Berlins in der Chausseestrasse die Grüne Apotheke. Sie ist Keimzelle der heutigen Schering AG.
Schering-Stammwerk um 1874
Das Berliner Schering-Stammwerk um 1874

Anorganisches Institut der Freien Universität Berlin
Das Anorganische Institut der Freien Universität Berlin (erbaut 1963)
 

Bei den außeruniversitären Forschungseinrichtungen vollzogen sich in den beiden Teilen der Stadt gegensätzliche Entwicklungen. Von den Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Instituten blieb nur das einstige Habersche Institut in Berlin-Dahlem, das seit 1953 den Namen seines ersten Leiters trägt. Ähnlich wie im letzten Jahrzehnt der Ära Haber wurde es nicht nur von den Direktoren - u. a. Rudolf Brill (1899-1989) und Heinz Gerischer - sondern auch von den recht selbstständi­gen Abteilungsleitern geprägt.

Im Ostteil der Stadt entstand in Adlershof mit den Akademieinstituten ein Chemiezentrum für die klassischen Disziplinen. Erich Thilo, Günther Rienäcker, Heinrich Bertsch, Alfred Rieche und Peter Adolf Thiessen waren dort die bekanntesten Chemiker. Die Biochemie hatte ihren Standort weitgehend in den Instituten in Berlin-Buch. In Berlin-West verließen die meisten chemischen Betriebe die Stadt. Die Schering AG blieb als einziger großer Traditionsbetrieb. Die Industriestruktur der DDR dünnte den Industriebereich im Osten aus. Größtes Werk war der VEB Berlin-Chemie, dessen Kern die ehemals Schering-Kahlbaumschen Anlagen bildeten. Als Berlin-Chemie AG hat es die Wende gut überstanden und ist gegenwärtig ein erfolgreiches und expandierendes Unternehmen.

 
 

Doch zuviel Hochschulchemie, wie gegenwärtig von manchen behauptet, ist bei der ungebrochenen Bedeutung des Fachs kein überzeugendes Argument für eine Zurücknahme des Lehr- und Forschungsangebots. Konnten in Berlin-West bis in die siebziger Jahre neue, große Institute bezogen und alte saniert und moderni­siert werden, so setzte dies bei der Humboldt-Universität erst nach 1990 ein. 2001 wurde in Adlershof deren neues chemisches Institut in Betrieb genommen.

Dr. Michael Engel
Mitglied des Freundeskreises Chemie-Museum Erkner e.V.

Quelle: Chemiker von A-Z ...
Mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber: Arbeitgerberverband Nord­chemie e.V. und Verband der Chemischen Industrie e.V., Landesverband Nordost

Campus Adlershof, Institut für Chemie der Humboldt-Universität zu Berlin
Campus Adlershof,
Institut für Chemie der Humboldt-Universität zu Berlin (erbaut 2001)
       
   
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Diese Seite wurde erstellt am 02.12.2006